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Wahlen in Bolivien

Morales – Präsident der Massen?

Dave Ellis, Neue Internationale 107, Februar 2006

Die Wahl von Evo Morales als Präsident zeigt den tiefen Wunsch der Bevölkerung nach einem radikalen Wechsel. Dies wird auch im Wahlergebnis deutlich. Morales erlangte 54% der Stimmen, sein bürgerlicher Opponent Jorge Quiroga kam nur auf 29% der Stimmen.

Obwohl die Wahlkommission fast eine Million, zumeist indigene WählerInnen von der Wahl ausgeschlossen hatte, errang die MAS einen überwältigenden Sieg. Mehrheiten wurden selbst in Hochburgen der Opposition errungen, trotz der feindlichen US-Regierung und einer weißen reichen Minderheit, welche die Medien und die Öffentlichkeit bestimmten.

Die Mehrheit der Bevölkerung stimmte für Morales und die MAS in der Hoffnung auf einen Kurswechsel. Sie erwartet nach 20 Jahren neoliberaler Herrschaft und verschiedenen Präsidenten der Elite eine komplette Neuordnung der bolivianischen Gesellschaft, in der heute eine kleine Minderheit im Luxus schwelgt, während die übergroße Mehrheit in bitterer Armut lebt. Eine Hauptforderung der Massen ist die Verstaatlichung der einheimischen Gasindustrie, deren Vorkommen auf einen Wert von 150 Milliarden Dollar geschätzt werden.

Derzeit haben verschiedene Energiekonzerne Verträge mit der bolivianischen Regierung. Diese Multis fördern und verkaufen das Gas und zahlen dafür nur eine 18%ige Gewinnsteuer. So werden die natürlichen Ressourcen des Landes verscherbelt und die Masse der Bevölkerung geht leer aus.

Schon zweimal, im Oktober 2003 und im Mai/Juni 2005 gingen die bolivianischen ArbeiterInnen, Bauern und Armen auf die Barrikaden. Mit Großdemonstrationen, Blockaden und Generalstreiks forderten sie die Verstaatlichung der Erdgasreichtümer - in beiden Fällen zwangen diese revolutionären Bewegungen die Präsidenten zum Rücktritt.

Auch andere Ressourcen wurden in dieser Zeit von neoliberalen Präsidenten privatisiert. So übernahm der US-Konzern Bechtel die Wasserversorgung mehrerer Großstädte. Infolge dessen verdreifachten sich die Preise. Dies provozierte militante Aufstände in den Städten Cochabamba und El Alto, wo sich die Aufstände gegen Subunternehmen amerikanischer und französischer Multis richteten.

Ursprung

Morales kam ursprünglich aus der Bewegung der Koka-Bauern, der „Cocaleros“. Der Bauernbewegung geht es um die Legalisierung des Koka-Anbaus, um die Beendigung der Repression durch den Staat und die USA, die Neuordnung des Grundbesitzes und mehr politische Rechte für die indigene Bevölkerung.

All diese Ziele sind eng mit der Verfassungsgebenden Versammlung im Juni 2006 verbunden. Die Massen wollen eine radikale Veränderung des bolivianischen Staates, ein Ende des korrupten und antidemokratischen Systems herbeiführen und ihre eigenen politischen und ökonomischen Forderungen umsetzen.

Das Problem dieser Bewegung könnte die neue Regierung werden, da diese eher an einer Allianz mit der nationalen und internationalen Bourgeoisie interessiert scheint, als an einem offenen Bruch. Der Vize-Präsident der MAS, Garcia Linera, sagte dies nach der Wahl ganz offen: „Wir müssen feststellen, dass Bolivien auch in den nächsten 50-100 Jahren ein kapitalistisches Land sein wird“.

Morales und seine Partei werden keine sozialistische revolutionäre Politik verfolgen, noch die Forderungen der Arbeiter und Bauern tatsächlich umsetzen. Morales sprach eher von einer symbolischen Verstaatlichung der Gasvorkommen. Er will Neuverhandlungen mit den Konzernen aufnehmen - verbunden mit dem Versprechen an das Kapital, dass Verstaatlichung nicht automatisch Enteignung oder Ausbeutung bedeuten müsste. So äußerte sich Morales gegenüber Wirtschaftsvertretern auf seiner Spanien-Reise.

Wie berechtigt Skepsis ist gegenüber Morales ist, zeigte auch seine außenpolitischen Rundreise in Lateinamerika und Westeuropa im Januar. So erklärte er vor brasilianischen Unternehmern:

„Unsere Regierung wird nicht nur das Privateigentum respektieren. Wir werden garantieren, daß die privaten Anleger ihre Investitionen wiedererlangen. Und sogar das Recht haben, Gewinne zu erzielen.“

Gerade für die brasilianischen Konzerne ist das von großer Wichtigkeit, kontrolliert doch Petrobras rund 14 Prozent der Gasförderung des Landes und verfügt praktisch über ein Monopol der Raffinierung in Bolivien.

Auch Spanien und Frankreich verfolgen massiv Interessen im Andenstaat. Die spanische Regierung erließ daher einen großen Teil der Auslandsschulden Boliviens, Chirac lobte die Demokratisierung unter Morales und auch China will massiv investieren.

Die Art von Verstaatlichung, die Morales im Sinn hat, verstaatlicht das Gas unterhalb der Erde, d.h. vor dessen Förderung - sobald es dann gefördert ist, steht es den internationalen Konzernen frei, das bolivianische Gas zu verarbeiten und zu verkaufen. Im Wahlkampf in Cochabamba versprach Morales den Massen: “Wir nehmen unser Land wieder in Besitz, wir verstaatlichen die natürlichen Ressourcen unseres Landes“.

Solche Tricks sind typisch für einen klassischen Linkspopulisten. Schöne Parolen für die Massen und die Versicherung des Gegenteils in den Hinterzimmergesprächen mit der Bourgeoisie.

So will Morales auch nicht die Großgrundbesitzer, die „Latifundistas“ enteignen. Nur kleine Reformen für den Kauf von unbenutztem Farmland für Kleinbauern werden angekündigt, während es weiterhin keine Lösung für die Massen der landlosen Bauern gibt. Diese Lösung aber ist nur durch die Enteignung des Großgrundbesitzes möglich - nicht nur, weil die zu verteilende Landmenge sonst viel zu klein wäre, sondern auch, weil die kleinen Bauern sonst sofort wieder nieder konkurriert werden würden.

Auch in der neoliberalen Gesetzgebung ist kein Wechsel von Morales zu erwarten. Diese Staatspolitik trieb in den letzten 20 Jahren schon Millionen BolivianerInnen in die Armut. Vor der Wahl gab Morales ein Interview, worin er feststellte: “Wenn ich gewählter Präsident bin, muss ich leider die neoliberalen Gesetze akzeptieren. Einige Änderungen kann ich per Erlass, wiederum andere im Parlament durchbringen, aber ich kann 20 Jahre neoliberale Gesetzgebung nicht mit einem Handstreich beseitigen“.

Zwar hat Morales die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung für den Juni versprochen, doch deren Zusammensetzung wird von derselben Wahlkommission bestimmt, die sich schon bei den Wahlen außer Stande gesehen hatte, die Beteiligung der indigenen und armen Bevölkerung Boliviens zu sichern.

Mit einer Politik von Versprechungen an die Massen und gleichzeitige Zugeständnisse an internationale Investoren und Sektoren der nationalen Bourgeoisie, hoffen Morales und die MAS zwischen den widerstrebenden Klassenkräften des Landes ausgleichen zu können. Eine solche Politik wird notwendiger Weise in den kommenden Monaten oder Jahren vor massive Zerreißproben gestellt werden – sie es durch konterrevolutionäre Unternehmenungen der USA und der Reaktion im Landesinneren, sie es durch die Forderungen der ArbeiterInnen und Bauern.

Linke Opposition

Eine kleine, aber wichtige Gruppe radikaler, subjektiv revolutionärer AktivistInnen, welche die Proteste im Jahr 2005 angeführt hatten, ist sich dieser Absichten von Morales bewusst. Diese Gruppen trafen sich zu einer Konferenz vor den Wahlen in El Alto. Als Ergebnis wurde das Ende der Waffenruhe seit dem letzten Generalstreik verkündet. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass „kein Kandidat, der die Wahl gewinnen könnte, tatsächlich die Ressourcen verstaatlicht“. Außer dem Ruf nach Verstaatlichung von Öl und Gas ohne Entschädigung und nach einem „politischen Instrument für die Arbeiterklasse“ konnten diese Gruppen aber keine eigenständige Mobilisierung für die Wahl betreiben und folgten daher Morales. Hierin zeigt sich ein grundlegendes Problem. Ohne die Formierung dieser Avantgardeschichten zu einer revolutionären Arbeiterpartei werden die besten Absichten immer wieder im Opportunismus enden müssen.

Die revolutionären Kräfte müssen nun die ArbeiterInnen und Bauern weiter organisieren, damit sie Morales zwingen können, seine Wahlversprechen anzugehen. Die Gasfelder, die Gasleitungen und die Produktion müssen vergesellschaftet werden und unter Kontrolle der Arbeiter stehen! Die internationalen Konzerne haben schon genug Profit aus Bolivien mitgenommen - diese Vergesellschaftung muss bei allen privatisierten Gütern und Ressourcen greifen. Gleichzeitig muss der Großgrundbesitz zerschlagen werden und das Farmland an Vereinigungen und Komitees der Bauern übergeben werden. All dies muss mit Massenmobilisierungen unterstützt werden - Streiks, Besetzungen, Blockaden.

Die Verfassungsgebende Versammlung muss die Herrschaft der alten Eliten endgültig brechen und die außenpolitische Hörigkeit gegenüber den USA beenden. Die Zusammensetzung der Versammlung muss durch die Kräfte der revolutionären Bewegung zur Verstaatlichung von Ressourcen und des Landes bestimmt sein. Alle Versuche, diese Kräfte oder die Armen und Indigenen von der Versammlung auszuschließen, müssen auf den schärfsten Protest der ArbeiterInnen und Bauern stoßen.

In einer Erklärung der MAS zur Versammlung steht: Die Versammlung soll erreichen, dass die Kontrolle über die Ressourcen wieder in die Hände des Staates übergeht und der Nutzen der gesamten Bevölkerung zugute kommt.“

An dieses Versprechen müssen die RevolutionärInnen die Vertreter der MAS immer wieder erinnern, denn wenn die Versammlung nicht zu diesen Ergebnissen kommt, müssen die ArbeiterInnen und Bauern den Kampf um die Vergesellschaftung weiterführen und für eine revolutionäre konstituierende Versammlung kämpfen!

Diese muss sich auf Räte stützen: auf Räte der ArbeiterInnen, der Kleinbauern, der Armen in den Städten und der einfachen Soldaten. Dazu müssen sie Arbeiter- und Bauernmilizen aufbauen, um die Räte zu verteidigen. Entscheidend aber ist die Bildung einer Arbeiterregierung, die sich auf die Macht der Räte und der Milizen stützt. Nur eine solche Regierung kann real in der Lage sein, die Wünsche und Hoffnungen der Massen in Bolivien zu erfüllen.

Kritische, revolutionäre Arbeiter müssen wissen, wie sie ihre Taktik anwenden können, um Morales heraus zufordern, ihn als Verteidiger der bürgerlichen kapitalistischen Ordnung zu entlarven und seine UnterstützerInnen für eine revolutionäre Bewegung zu gewinnen. Im Moment wartet die Mehrheit der ArbeiterInnen und Bauern noch, ob ihre Ziele unter der Regierung Morales verwirklicht werden können. Ihre Erwartungen werden schnell betrogen sein.

Dass einige Teile der Gewerkschaften die Begrenztheit der Politik von Morales verstanden haben, ist ein gutes Zeichen, kann aber nur ein Beginn sein. Revolutionäre ArbeiterInnen, welche die Einsicht in die Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus gewonnen haben, müssen einen Schritt weiter gehen - sie müssen eine revolutionäre Arbeiterpartei aufbauen. Sie müssen Taktiken und Strategien entwickeln, um andere Teile der Bevölkerung anzusprechen, v.a. die Armen in Stadt und Land.

 

Hätten Revolutionäre für Morales gestimmt?

Viele Linke halten die kritische Unterstützung Morales für richtig. Einige argumentieren, wenn Morales und die MAS ihre Schwächen nach der Wahl aufzeigen würden und die Unmöglichkeit einer Veränderung durch Wahlen offenbar wäre, stünde dann der revolutionäre Weg offen. Wieder andere argumentieren, die breite Unterstützung gerade unter der indigenen Bevölkerung bringt Morales den Sieg und aufgrund der Feindschaft der einheimischen Bourgeoisie und des US-Imperialismus gegenüber Morales, sei es für die Revolutionäre nötig, diese Bewegung zu unterstützen.

Beide Argumentationen sind falsch. Entscheidend für die aktuelle Situation in Bolivien ist, dass die organisierte Arbeiterschaft zusammen mit der Bauernschaft und den städtischen Armen die Macht übernimmt (respektive darauf vorbereitet, diese Chance in kommenden revolutionären Krisen zu ergreifen).

Dies bedeutet: Konflikt mit der herrschenden Klasse, der einheimischen wie der internationalen. Über allem steht daher die politische und organisatorische Unabhängigkeit und Stärke der Arbeiterklasse. Dazu kann die MAS nicht dienen, sie ist kein politischer Arm der Arbeiterklasse. Ihr Ziel ist eine breite Allianz aller gesellschaftlicher Klassen - die Volksfront. Dies bedeutet eine Unterordnung der Arbeiterklasse innerhalb der MAS und auch die Ziele der Arbeiterbewegung werden denen der herrschenden Klasse untergeordnet.

Die fortgeschrittensten ArbeiterInnen haben dies bereits erkannt, aber ihre syndikalistischen Vorurteile noch nicht überwunden und v.a. deshalb auch noch keine unabhängige Partei der Arbeiterklasse gegründet.

Revolutionäre hätten daher nicht zu einer kritischen Unterstützung von Morales aufgerufen. Nun ist es überlebenswichtig, dass die Gewerkschaften nicht in eine Regierung der MAS eintreten. Revolutionäre müssen jetzt dafür kämpfen, dass keine ihrer Organisationen oder ihre Führer in die (bürgerliche) Morales-Regierung gehen. Der Kampf der revolutionären Bewegung für die Vergesellschaftung der Ressourcen muss weiter gehen, der Populismus von Morales und der MAS können nur durch eine kampfstarke revolutionäre Bewegung entlarvt werden.

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Nr. 107, Februar 2006

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*  Bolivien: Morales - Präsident der Massen?
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